Am 7.3.2022 auf NDR um 22 Uhr.
Es sind Frauen, die beruflich erfolgreich sind und mitten im Leben stehen. Und doch haben sie ein Geheimnis in sich getragen: Sie sind oder waren alkoholabhängig. So wie die Schauspielerin Mimi Fiedler, die Geschäftsfrau Sandra Fricke, die Journalistin Nathalie Stüben oder die dreifache Mutter Gaby Guzek.
Die überwiegende Zahl der Betroffenen sind nicht gesellschaftliche Außenseiterinnen, sondern Berufstätige und Mütter. Und das Problem gewinnt an Dringlichkeit: Während der gesundheitlich riskante Alkoholkonsum bei Männern in den vergangenen Jahren abgenommen hat, bleibt er bei Frauen gleich oder steigt sogar.
Warum werden so viele erfolgreiche Frauen alkoholsüchtig?
Alkoholismus wird in der Gesellschaft mit Randgruppen assoziiert und die Betroffenen werden oft stigmatisiert. Wissenschaftsjournalistin Antje Büll trifft Frauen, die offen über dieses Tabuthema sprechen. Ex-Tatort-Schauspielerin Mimi Fiedler ist eine von ihnen: „Ich war nach außen die Schauspielerin und das Vorzeigemädel, das es geschafft hatte. Aber ich war 30 Jahre Trinkerin.“
Sie berichtet, wie sie heimlich auf den Hotelzimmern trank, von der Angst, die Texte zu vergessen und über die Scham, süchtig zu sein. „Der Grund, warum ich öffentlich darüber spreche, ist einfach, um diese Krankheit zu entstigmatisieren“, sagt die 46-Jährige. „Damit Menschen wissen, dass es nicht an ihnen liegt und dass es nicht mit dem Charakter zu tun hat, sondern eine Krankheit ist.“
Rückfall in die Sucht durch Corona und Homeoffice
„Alkohol war für mich ein Medikament“. Geschäftsfrau Sandra wurde in der Corona-Zeit rückfällig.
Sandra Fricke hat zehn Jahre als Geschäftsführerin in der elterlichen Möbelfirma gearbeitet, anschließend als Unternehmensberaterin und Schulungsleiterin. Durch beruflichen und privaten Stress ist sie vom „Entspannungsglas“ am Abend langsam in die Abhängigkeit gerutscht. Und der gesundheitlich riskante Alkoholkonsumfängt bei Frauen schon an, wenn sie mehr als 12 Gramm reinen Alkohol pro Tag, also knapp einen Achtel Liter Wein trinken.
Einen Entzug hat Fricke bereits hinter sich. Jetzt ist sie durch Corona und Homeoffice wieder rückfällig geworden: „Es fehlte die Tagesstruktur, die viel ausmacht. Und da kam der Wein wieder täglich in mein Leben.“ Bei einer Langzeittherapie versucht sie jetzt, vom Alkohol loszukommen.
Suchtforscher: Führungspositionen verführen zum Alkohol
Je mehr Frauen in führende Positionen aufsteigen, desto mehr übernehmen sie auch den ungesunden Alkoholkonsum der Männer, so der Suchtforscher Professor Falk Kiefer vom Zentralinstitut für seelische Gesundheit: „Die Rollenerwartung gleicht sich an. Dazu gehört auch, wie man mit Suchtmitteln wie Alkohol umgeht.“ Er gehört zu den wenigen Wissenschaftler:innen, die sich in Deutschland überhaupt mit dem Thema Alkohol beschäftigen.
Alkoholkonsum in Deutschland einer der höchsten weltweit
Deutschland liegt laut WHO europaweit auf Platz vier, was den Pro-Kopf-Verbrauch an reinem Alkohol betrifft. Während andere Länder mit Steuererhöhungen, Werbeeinschränkungen oder Preiserhöhungen den Alkoholkonsum reduzieren konnten, hat sich in Deutschland in den vergangenen 30 Jahren nicht viel getan. Europaweit ist Deutschland auf den hinteren Plätzen, was die Alkoholsteuer betrifft.
„Man muss den Politikern die Dringlichkeit, denke ich, noch mal vor Augen führen. Es wird zu viel in Deutschland getrunken. Und wir müssen auch an der Steuerschraube drehen“, fordert der Ökonom Tobias Effertz von der Universität Hamburg. Die volkswirtschaftlichen Kosten für den Alkoholkonsum belaufen sich nach seinen Berechnungen auf 57 Milliarden Euro. Alkoholiker:innen verursachen damit weit mehr volkswirtschaftliche Kosten als Raucher:innen.
Ehemals abhängige YouTuberin will Jüngere sensibilisieren
Journalistin Nathalie Stüben: „Ich dachte, wenn ich mich Alkoholikerin nennen muss, bin ich gesellschaftlich erledigt“.
Doch das Thema Alkohol ist weder politisch noch gesellschaftlich in den Schlagzeilen. Das will auch Nathalie Stüben ändern. Die 36-jährige Journalistin war selbst jahrelang Alkoholikerin, trank regelmäßig bis zum Blackout. Bei der Arbeit funktionierte sie. So gehe es vielen, glaubt sie.
„Wir haben das Bild im Kopf, dass es die Genusstrinker gibt und dann gibt es lange gar nichts und dann gibt es die, die morgens Wodka ins Müsli kippen. Uns fehlt ein Bewusstsein für diesen riesengroßen Graubereich.“ Dafür möchte sie vor allem jüngere Menschen mit ihrem Podcast und YouTube-Kanalsensibilisieren. Sie ist überzeugt, dass die meisten zu spät Hilfe suchen.
Gründe für und Wege aus der Sucht
Die Autorin Antje Büll trifft für diese 45 Min-Dokumentation bemerkenswerte Frauen, die sich trauen, mit ihren Problemen an die Öffentlichkeit zu gehen. Sie wollen das Problembewusstsein schärfen für das große gesellschaftliche Thema Alkoholsucht, das Aufmerksamkeit benötigt.
Die Filmmusik durfte ich beisteuern.